Klasse 3/4 b der Grundschule am Gernerplatz, Puchheim (Schuljahr 2016/17)

Das blinde Mädchen hörte diese Schritte lange, bevor ihr Freund etwas vernommen hätte. Aber die Schritte kamen ihr sehr eigenartig vor. „Rußschwarzchen“, flüsterte sie. „Da kommt jemand. Oder etwas. Es klingt wie Schritte von Kindern, aber ihr Rhythmus ist gut auf einander abgestimmt. So wie beim Marschieren von Soldaten.“
„Heißt das, dass die Soldaten kommen? Vielleicht wollen die auch die Räuber fangen. Das dürfen die nicht. Die Belohnung wollen wir kriegen…“ Der Junge klang so enttäuscht, dass Rosenblau beinahe lachen musste.
„Nein, so meine ich das nicht“, wisperte sie schnell, „es können keine Soldaten sein. Ihre Füße trippeln schnell, das heißt also, dass sie klein sind. Oder es ist ein großes Tier, so wie ein riesiger Käfer mit vielen Beinen. Vielleicht ein Tier, das uns fressen will. Rennen wir schnell weg! Aber du musst mich führen!“
Rußschwarzchen hätte dies ohnehin getan, er hielt seine Freundin fest an der Hand, die würde er nicht loslassen, wusste er doch, dass sie ihn brauchte. Aber weil er schnell fliehen wollte (das hatte er nämlich auch begriffen), zog er sie ziemlich heftig hinter sich her, so dass Rosenblau nicht die Zeit blieb, mit ihren Füßen zu tasten. Sie musste einfach einen Fuß vor den anderen setzen, egal wie der Boden beschaffen war. Dummerweise lag da ein Ast quer, der rutschte ihr zwischen die Knöchel, dann stand ihr linker Fuß auf dem einen Ende des Stocks. Als sie den rechten Fuß hob, blieb sie mit dem Schuh am Stock hängen, stolperte und fiel der Länge nach nach vorne, wobei ein lautes, dumpfes Poltern entstand, der weiche Waldboden vibrierte.Rußschwarzchen hätte vor Schreck beinahe ihre Hand losgelassen. Aber er hielt sie eisern, ihr Arm zog ihn zu ihr hinunter in die Hocke.
„Rosenblau, was ist mit dir? Warum bist du hingefallen?“ Das schrie er geradezu, dann hielt er kurz inne und dachte nach. Schließlich ließ er ihre Hand los, richtete sich auf und sagte mit sehr lauter Stimme, wie wenn er sie in weiter Entfernung erreichen wollte: „Ist dir etwas geschehen? Tut dir etwas weh? Warte, ich helfe dir hoch.!“ Dabei ging er um die am Boden Liegende herum und versuchte, ihre Gliedmaßen irgendwie hochzuziehen.
Die marschierenden Schritte waren inzwischen ganz nahe gekommen: es war eine Gruppe von Zwergen. Diese hatten schon mehr als eine halbe Stunde zuvor die beiden Jugendlichen im Wald beobachtet, die etwas zu suchen schienen, das Mädchen war offensichtlich blind. Zunächst waren die Zwerge den beiden langsam und in einiger Entfernung gefolgt, hatten immer mehr den Eindruck gewonnen, dass die beiden Hilfe bräuchten. Jetzt erblickten sie das noch immer am Boden liegende Mädchen und den Jungen daneben, die Zwerge hielten an. Einer von ihnen (es war wohl der Anführer, denn er trug als einziger ein Gänseblümchen an seiner Mütze) sprach sie an: „Was ist denn los mit euch? Können wir…“
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment begann eine heftige Bewegung im Brombeergebüsch.Die Blätter raschelten, die Zweige ruckten auf und nieder. Was war da los? War das Zauberei? Die Zwerge duckten sich sofort und krochen rückwärts hinter die Bäume, die den Pfad, auf dem sie gekommen waren, säumten. Im Handumdrehen waren alle Zwerge gut versteckt, und ohne dass sie sich hätten absprechen müssen.
Seitlich hinter dem Brombeergestrüpp tauchten nun zwei Gestalten auf, in schwarze Mäntel gekleidet und jeweils mit einem Säbel bewaffnet, ein Mann und eine Frau: Begleitet von einem Räuber kam die Hexe aus der Höhle, sie wollte herausfinden, woher das Poltern und die Geräusche stammten, die alle im Versteck in Alarmbereitschaft versetzt hatten. Der Räuber erblickte Rosenblau und Rußschwarzchen zuerst, zog sein Schwert und stürmte auf die beiden los. Wollte er sie töten?
Im selben Augenblick hoben alle Zwerge hinter den Bäumen jeweils ihre linke Hand und murmelten eine Zauberformel – da rannte der Räuber gegen eine unsichtbare Wand. Wirklich, es war nichts zu sehen, aber der Räuber kam keinen Millimeter weiter, wie wenn er gegen eine feste Steinmauer gelaufen wäre. Unverrückbar stand dieser Schutzwall der Zwerge auf dem Waldboden, dahinter war das blinde Mädchen und ihr Freund in Sicherheit.
Rosenblau lag noch immer mit dem Gesicht zum Boden, sie bewegte sich kaum. War sie schwer verletzt, vielleicht sogar bewusstlos? Zum Glück nicht. Sie verharrte nur und lauschte auf jedes noch so kleine Geräusch. Denn alles war so fremd für sie, sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was hier geschah. Und Rußschwarzchen konnte kein Wort hervorbringen, er war zu verblüfft.
Der Räuber startete noch einen zweiten Anlauf, aber wieder rannte er gegen diese Mauer aus Luft. Da begann die Hexe zu kichern. „He he, hier müssen Zwerge sein, diesen Zauberwall kenne ich. Und die Zwerge halten sich für so schlau. Aber ich bin stärker. Da zaubere ich einfach dagegen.“ Mit der Hand machte sie ein paar Beschwörungszeichen in die Luft und murmelte etwas. „So, Räuber, jetzt können wir…“ Schon war der Zauberwall aufgehoben, der Räuber tat ein paar Schritte nach vorne und packte Rußschwarzchen an der Schulter. Dieser schrie auf. Der Unhold hatte schon sein Schwert erhoben.
„Tut uns nichts“, rief verzweifelt das hilflose Mädchen, das nicht einmal wusste, zu wem sie das sagte.
„Tu ihm nichts!“, befahl im gleichen Moment die Hexe. „Die zwei nehmen wir mit. Vielleicht kriegen wir für die auch noch Lösegeld.“ Sie trat hinzu, der Räuber und sie packten auch Rosenblau, dann schleiften sie die beiden Wehrlosen hinter die Brombeerbüsche und verschwanden.
Nach einer Weile lösten sich die Zwerge aus der Erstarrung, in die sie vor Schreck gefallen waren. „Die haben uns nicht gesehen“, kicherte einer. Und ein anderer stimmte zu: „“Kann gut sein. Aber wir kennen jetzt den Eingang zur Räuberhöhle. Jetzt warten wir, wenn sie heute Nacht schlafen, schleichen wir uns rein.“
Rosenblau und Rußschwarzchen wurden tief in die Räuberhöhle gebracht, dort saßen die anderen Räuber um ein kleines Feuer (das Rosenblau zwar nicht sehen, aber riechen konnte). Dann wurden die beiden Jugendlichen an Händen und Füßen mit Eisenketten gefesselt, die mit einem Vorhängeschloss gesichert wurden. Schließlich legten die Räuber sie an die hintere Wand der Höhle. Dort musste noch jemand liegen, Rosenblau hörte Atemzüge eines Menschen, sie schnupperte. Das war ja der Prinz! Denn der benutzte ein besonderes, edles Parfüm, seinen Duft hatte sie am Tag zuvor im Dorf wahrgenommen, als der Prinz dort auf seiner Brautschau vorbeigekommen war. Sie hatten ihn gefunden, jetzt mussten sie ihn nur noch befreien. Aber wie?
Als nach mehreren Stunden (es musste schon am Abend gewesen sein) die Räuber hämisch lachend um ihr Feuer saßen und sich dabei ausmalten, was sie sich alles mit dem Lösegeld kaufen würden, nutzte sie die Gelegenheit, mit Rußschwarzchen und auch mit dem Prinzen einige leise gewisperte Worte zu wechseln. Rußschwarzchen hatte längst begriffen, dass er sich mucksmäuschenstill verhalten und alles seiner Freundin überlassen musste. Die würde schon einen Weg finden, sie zu retten, für ihn war sie das klügste Mädchen auf der Welt.
Und der Prinz? Er erzählte, dass die Räuber ihn seit vielen Stunden hier gefangen hielten, vielleicht schon seit Tagen. In der Höhle hatte er jedes Zeitgefühl verloren, er sah ja nicht, ob es Tag oder Nacht war. Außerdem berichtete er, dass immer Räuber in der Höhle gewesen waren, nur einzelne von ihnen hatten die Höhle zeitweise verlassen.
Draußen warteten die Zwerge, bis es Nacht wurde. Dann schlichen sie sich im Schutz der Dunkelheit hinter die Brombeerbüsche und in die Höhle hinein. Was war das? Lautes Schnarchen drang aus der Höhle. Die Räuber waren wohl tief eingeschlafen, vielleicht träumten sie vom Lösegeld. Hoffentlich schliefen alle! Auf Zehenspitzen schlichen die Zwerge zu den schlafenden Räubern, bald entdeckten sie die drei Gefangenen, die aufrecht sitzend an der hinteren Wand lehnten. Da die Zwerge normalerweise in den Bergen nach Gold und Edelsteinen graben, waren ihre Augen an die Dunkelheit gut gewöhnt, so erkannten sie bald die Eisenketten und Vorhängeschlösser. Dazu musste es einen Schlüssel geben. Sie schlichen um die schnarchenden Räuber herum. Da entdeckte einer neben der ebenfalls schlafenden Hexe einen großen Ring mit vielen Schlüsseln dran. So leise wie möglich nahm er den Bund und trug ihn zu den Gefangenen. Welcher Schlüssel passte? Sollten die Zwerge die Schlüssel ausprobieren? Aber bestimmt machte das metallische Klirren und Scharren dabei verdächtige Geräusche…
Da streckte Rosenblau die gefesselten Hände nach dem Schlüselbund aus. Mit ihrem feinen Gehör hatte sie das leise Klirren der Schlüssel erkannt. Jetzt tastete sie mit geübten Fingern die Schlüssel ab, auch immer wieder das Vorhängeschloss an Rußschwarzchens Ketten. Endlich war sie sich sicher. „Der ist es,“ flüsterte sie kaum hörbar. Die Zwerge nahmen den Schlüssel und wirklich: er passte. Und nicht nur bei dem Jungen, die Schlösser bei allen drei Gefangenen ließen sich damit aufsperren. So leise wie möglich legten sie die Ketten auf den Boden, dann schlichen sie auf Zehenspitzen an den schnarchenden Räubern vorbei ins Freie.
Und wie ist die Geschichte ausgegangen? Der Prinz eilte mit Rosenblau und Rußschwarzchen auf schnellstem Weg zum Schloss, während die Zwerge in der Nähe der Höhle blieben, um die Räuber verfolgen zu können, falls diese aufwachten und flüchteten. Doch dies war gar nicht nötig, denn noch ehe der Morgen hereingebrochen war, galoppierten schon die königlichen Ritter herbei. Der Prinz hatte sie losgeschickt, um die Räuber verhaften und einsperren zu lassen. Auch die Hexe wurde ins Gefängnis geworfen, aber die Tür zu ihrer Zelle wurde von den Zwergen mit einem speziellen Zauber gesichert, so dass sie nicht mehr hexen konnte.
Und die Belohnung? Die Zwerge bekamen die 1000 Goldtaler und dazu noch die große Höhle, in der zuvor die Räuber gehaust hatten. Dort hatten die Zwerge viel mehr Platz als in ihrer Zwergenhütte, sie fühlten sich sehr wohl.
Der Prinz und Rosenblau verliebten sich in einander, sie heirateten und aus Rosenblau wurde Prinzessin Rose. Rußschwarzchen durfte ebenfalls im Königsschloss wohnen. Der Prinz hätte ihm gerne alles geschenkt, was der sich wünschte, aber Rußschwarzchen wünschte sich, im Schloss arbeiten zu dürfen. Und zwar in der Küche, er wollte das Kochen lernen (und ganz besonders wollte er lernen, wie man Weihnachtsplätzchen backt). Schließlich gab der Prinz seinen Bitten nach: der Junge lernte beim Koch sehr viel, das Kochen und Backen machte ihm so viel Freude, dass er sich die Rezepte mit der Zeit gut merken konnte. Als Koch verdiente er sein eigenes Geld, und da er ja für Essen, Kleidung und Wohnen im Schloss nichts zu bezahlen brauchte, kaufte er sich stets einen großen Vorrat an Weihnachtsplätzchen. Bei seiner Arbeit trug er immer eine blütenweiße Kochschürze, und so wurde Rußschwarzchen von allen Leuten nur noch Weißschürzchen genannt.

© Bertram der Wanderer und Klasse 3/4 b

Fähigkeiten

Gepostet am

18. November 2019

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